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Zum Umgang mit Gewaltmärkten

Bedrohlich scheinen nicht nur die Terroristen des 11. September. Unbehagen muss allen BetrachterInnen des Weltgeschehens bereiten, dass der Großteil der sicherheitspolitischen Konzepte sich immer noch auf die Bedrohung durch den Krieg zwischen Staaten bezieht.

Bedrohlich ist, dass der klassische Krieg nach wie vor die erste und zentrale Antwort auf ein monströses Gewaltverbrechen ist, das als „Innovation“ im Spektrum der Terrorakte bezeichnet werden kann. Wenn das Ziel von Friedenspolitik eine friedlichere Welt ist und das Ziel von Sicherheitspolitik eine sicherere, muss sie sich zuerst mit der veränderten Realität des Krieges beschäftigen. Die Frage ist zu stellen, unter welchen Bedingungen terroristische oder kriegerische Organisationen ohne festes Staatsgebiet sich entwickeln. Denn vieles spricht dafür, dass die Al-Quaida nur eine Spielart von mehreren möglichen Formen der zügellosen Gewaltentwicklung ist. Neben der ideologischen und psychologischen Disposition der terroristischer Täter, neben dem verheerenden Zustand der politischen Systeme im Nahen Osten stellt sich das in der sog. 3. Welt zunehmende Auseinanderbrechen gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen als wichtigste Bedingung für die Produktion privater Kriegsgewalt dar.

Gescheiterte Modernisierung und brachiale Globalisierung: Entstehungsbedingungen privater Gewaltmärkt

Seit rund zehn Jahren ist eine Zunahme von kriegerischen Konflikten zu verzeichnen, in denen nichtstaatliche Gewaltorganisationen die Hauptrolle spielen – meist bewaffnete Gruppen unter der Führung sogenannter „Warlords“ oder auf deutsch: Kriegsherren. Der Berliner Ethnologe Georg Elwert macht deren Gebiete als „Aufmarsch- und Rückzugsgebiet“ von Organisationen des Typs Al-Quaida aus. Ob in Afghanistan, Liberia, Kongo, Somalia oder Sierra Leone: Überall läßt sich ein ähnliches Grundmuster von Entstehungsbedingungen für gewaltoffene Räume erkennen. Wenn in einer traditionellen Gesellschaft ein gesellschaftliches Geflecht von Patronage, Stammesnetzwerken und ethnischen Bindungen durch Krieg, wirtschaftliche Krisen und blockierte Modernisierungsprozesse endgültig aus dem Lot gerät, bedeutet dies oft den Anfang eines Zerfallsprozesses. Nahezu unaufhaltsam ist dieser, wenn weder eine zivilgesellschaftliche Basis noch ein moderner Staat als Legitimationszusammenhang und als Ressource zur Organisation von politischen Konflikten zur Verfügung steht. Besiegelt ist er, wenn von außen keine Hilfe kommt.

 „Kalashnikov Lifestyle“ und internationale Beutejäger

Gewalt wird dann zum wichtigsten Mittel, um Eliten den Unterhalt zu sichern. Der Beutezug ersetzt zunehmend die Produktion. Militarisierte Gewalt wird fester Bestandteil politischer Strategien, das Kriegsherrentum setzt sich militärisch und als Lebensform durch. Junge Männer sehen in der Mitgliedschaft in einer Miliz vielfach die einzige Möglichkeit, einen gewissen Status und ein Einkommen zu erlangen. In dem kleinen Liberia nahm die Zahl der bewaffneten Milizionäre innerhalb weniger Jahre nach dem Zerfall des staatlichen Gewaltmonopols dramatisch zu und dürfte bis Ende der 90er Jahre auf über 60.000 angewachsen sein. Mit dem „Kalashnikov Lifestyle“ wird Waffengewalt zum Alltagsphänomen und die Grenzen zwischen Zivilbevölkerung und kriegführender Bevölkerung verwischen. Ein Gewaltmarkt hat sich etabliert.

Doch die Existenz von Kriegsherren ist nicht ohne die Einflussnahme externer Interessengruppen erklärbar: Im Fall Afghanistans ist die Subvention der Taliban durch die USA hinlänglich beschrieben worden. Alle Raubökonomien der Kriegsherren sind auf Schnittstellen zu den Waffen- und Rohstoffmärkten angewiesen. Häufig treten die Warlords direkt als Vertragspartner von Rohstoffkonzernen auf – so etwa im Kongo. Nicht selten führen konkurrierende Kriegsherren einen Stellvertreterkrieg für Rohstoffkonzerne und die dahinter stehenden Staaten. In den gewaltoffenen Räumen setzen Groß- und Regionalmächte mittlerweile auch Söldnerarmeen ein.

Angesichts der steigenden Bedeutung halbstaatlicher und privater Kriegsakteure ist eine grundlegende politische Neuorientierung überfällig. Widersprüche und Fragen darf nicht mehr ausgewichen werden: Wie kann Frieden hergestellt oder gesichert werden, wenn die Kriegführenden gesellschaftliche Gruppen sind, deren Rationalität sich stärker nach ökonomischen Kalkülen, ethnischen Differenzierungen oder vernetzten Patronagebeziehungen richtet? An wen können sich die Institutionen internationaler Politik richten, wenn den Akteuren nach politischer Opportunität wechselweise die Rolle von „Staatsmännern“, „Warlords“, „Terroristen“ und „Kriminellen“ zugeschrieben wird? Sicher ist angesichts der Gemengelage zunächst nur eins: Eine Sicherheitspolitik, die sich je nach strategischer Günstigkeit der Gewaltmärkte bedient, diese zulässt oder fördert, wird nicht nur den Nährboden, sondern das Heimatgebiet vieler weiterer Generationen von Gewaltorganisationen bestellen.

Markus Kurth
(BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN KV Dortmund)

GRÜNE FRIEDENSZEITUNG