Sieg in Afghanistan! Krieg jetzt aus?

Nach wochenlangen Bombardements hat die militärische Supermacht USA hat im Bündnis mit der afghanischen Nordallianz große militärische Siege zu vermelden. Niemanden muss das überraschen, weil ein „3.Welt-Land“ wie Afghanistan den USA militärisch hoffnungslos unterlegen ist.

Die Eroberung Kabuls und die Besetzung weiter Landstriche durch die Nordallianz werden natürlich von den Kriegsbefürwortern in aller Welt als Bestätigung ihrer Strategie angesehen: „In weiten Teilen des Landes sind die Menschen aus dem Würgegriff des menschenverachtenden Taliban-Regimes befreit worden... Durch die militärischen Maßnahmen ist der Weg frei geworden zur humanitären Versorgung der notleidenden afghanischen Bevölkerung.“ So begann Schröder seine Regierungserklärung am 16.11.01 im Bundestag. Es wird nun so getan, als wenn der Krieg begonnen worden wäre, um die 8-9 Mio. afghanischen Flüchtlinge, die bereits im Juni gezählt wurden, versorgen zu können. Oder für die Rechte der afghanischen Frauen. Beides ist nicht wahr. Vor dem 11.9. hat beides die westlichen Regierungen nicht interessiert. Es wird der Öffentlichkeit die gleiche PR-Nummer wie 1999 beim Jugoslawien-Krieg aufgeführt: Erst schafft bzw. vermehrt man durch die eigenen Luftangriffe das Flüchtlingselend, delegiert dann seinen Schuldanteil an den Kriegsgegner und anschließend spielt man sich als humanitärer Retter auf. Wem es um die Versorgung der Flüchtlinge geht, der muss die Hilfsorganisationen ranlassen und unterstützen, statt, wie in den letzten Wochen geschehen, ihre Depots zu bombardieren. Wer Militär dafür einsetzt, führt in der Regel anderes im Schilde.

Bleiben wir bei der Wahrheit. Das erste Kriegsziel, das verkündet wurde, war die Ergreifung von Bin Laden. Da dieses sich beim näheres Hinsehen als schwierig gestaltete, trat als zweites Kriegsziel die Beseitigung des Taliban-Regimes auf die Tagesordnung. Selbst US-Minister Rumsfeld räumte Ende Oktober ein, es sei leichter das Taliban-Regime zu stürzen, „als einen Mann zu finden.“ (SZ 26.10.2001)Was bedeutet die veränderte militärische Lage für die beiden Kriegsziele? Auch die Sowjetunion bzw. die mit ihr verbündete Karmal-Regierung, quasi „ihre Nordallianz“, kontrollierte in den 80er Jahren ebenfalls die afghanischen Städte. Auf dem Lande herrschte Guerilla-Krieg, die sowjetischen Truppen wurden überfallen, wenn sie sich über die afghanischen Landstraßen bewegten. Der Unterschied ist nur der, dass damals die USA den afghanischen Widerstand militärisch unterstützten, während die Taliban heute nur noch wenig Unterstützung von außen erhält. Dennoch, auch in Tschetschenien sind heute Anschläge und Überfälle auf die russischen Truppen an der Tagesordnung, obwohl die Tschetschenen ebenfalls kaum noch von außen unterstützt werden. In Afghanistan ist eine ähnliche Situation zu erwarten. Die Besatzungstruppen aus den NATO-Ländern, zu denen sich in den nächsten Wochen auch die Bundeswehr gesellen könnte, dürfte nun in einen Guerilla-Krieg verwickelt werden. Auch wenn die Tabiban aus den meisten Städten vertrieben sind und man den Sturz des Taliban-Regimes verkünden mag: Der Afghanistan-Krieg wird vermutlich nicht zuende sein.

Wie steht es mit der Ergreifung von Bin Laden? Hier steht der Erfolg bisher aus. Es mag sein, dass man bei einem der Flächenbombardement auch seinen Aufenthaltsort einmal trifft, aber zwingend ist das nicht. Wie man in den USA weiß, ist das Ergreifen von Terroristen nicht einfach. Der Attentäter, der 1996 den Anschlag auf den Olympiapark von Atlanta verübte (ein weißer US-Bürger), ist noch nicht gefasst und hält sich seit mehreren Jahren in den ausgedehnten Wäldern von North Carolina versteckt. Er kennt in dem Gebiet jede Höhle. Das FBI wartet nun geduldig darauf, dass er das Gebiet verlässt. Entsprechende Geduld wäre bei der Ergreifung des mutmaßlichen Täters, Bin Laden, an den Tag zu legen.

Ziel müsste sein, dass afghanische Kräfte Bin Laden ausliefern; das werden sie vermutlich am ehesten an ein internationales Gericht. Darauf könnte man hinarbeiten, indem man Bin Laden bzw. seine Organisation politisch isolierte (was der Krieg gerade nicht tut). Dieses Modell, nennen wir es „Modell Milosevic“, war übrigens im August 2001 zwischen Pakistan, den USA und Tabilan ein ernsthafter Diskussionsansatz, als es noch lediglich um die Auslieferung Bin Ladens wegen der Anschläge auf US-amerikanische Botschaften 1998 ging. In der aufgeheizten Atmosphäre jetzt mögen sich viele jedoch nicht in Geduld üben, sondern suchen nach einer kurzfristig erfolgversprechenden Strategie. Hier kommt die militärischen Allmachtsfantasien entsprungene Kommandoaktion ins Spiel, Modell Öcalan sozusagen. Der Unterschied ist natürlich, dass ein Bin Laden mit eben so einer Aktion rechnen muss und sich darauf vorbereiten kann. Der Überraschungseffekt wäre nicht gegeben; außerdem bewegt sich Bin Laden in einem Umfeld, das mit ihm sympathisiert. Insofern könnte aus der Kommandoaktion schnell ein großes Blutbad oder ein Fiasko wie die versuchte Befreiung der Geißel in der US-Botschaft in Teheran anno 1979 werden. Eine solche Aktion ist natürlich völkerrechtlich ebenso wenig gedeckt wie die gegenwärtig stattfindenden Militäraktionen.

Wer den Afghanistan-Krieg nur wegen seiner kurzfristigen humanitären Auswirkungen kritisiert hat, der mag sich jetzt wieder auf die Couch legen. Wer den Krieg jedoch für moralisch nicht gerechtfertigt oder völkerrechtswidrig hält oder politisch kritisiert, z.B. weil jede Bombe den Bin Ladens neue Sympathisanten zuführt, Terrornetzwerke stärkt und nicht schwächt, der oder die muss jetzt aktiv bleiben und an den außerparlamentarischen Aktionen der Friedensbewegung teilnehmen!

Uli Cremer
(GAL Hamburg)

GRÜNE FRIEDENSZEITUNG